Die Wurzeln des alpenländischen Chorgesangs

Die Wurzeln des alpenländischen Chorgesangs

Der SOSAT-Chor hat einen legendären Ursprung.

Er scheint aus dem Nichts hervorzutreten, wie ein Erwachen des kollektiven Bewusstseins nach den Jahren des Ersten Weltkrieges und des Exils. Legendär ist sicherlich sein erster Auftritt: das Konzert am 24. Mai 1926 im Castello del Buonconsiglio, im großen Saal, hinter einem Wandschirm.

Es wird erzählt, dass einige Jahre zuvor, Tullio Antoniutti eines Tages in der Werkstatt der Gewerbehochschule auf dem Corso Buonarroti das Lied vom Piave pfiff und dass auf der anderen Seite der Klasse jemand anders, Mario Pedrotti, antwortete. Zu Tullio und Mario gesellten sich Enrico, der Bruder Marios und Riccardo Urbani, Tullios Freund. Die vier Freunde trafen sich, um gemeinsam Gitarre und Mandoline zu spielen; sie versuchten aber auch, die Melodien, die sie spielten, zu singen.

Bald traten der Gruppe Renato und Giuseppe Jungg, Leo Seiser, Giuseppe Ranzi, Bruno Pasini und andere bei.

Aber die Stimmen allein genügen nicht. Jemand muss ihren kollektiven Wert erahnen. Und dieser Jemand heisst Nino Peterlongo, der Gründer und erste Vorsitzende des SOSAT-Chores. Eines Abends klopft er an die Haustür von Ranzi, wo die jungen Leute proben und lädt sie ein, offizielle Mitglieder von SOSAT zu werden.

Auf diese Weise entsteht der Chor der Sektion für Arbeiter des Trentiner Alpenvereins – der Chor der SOSAT.

Aufgrund der Spontaneität seines Gesangs findet dieser Chor findet sofort die Zustimmung des Publikums.

Jedes seiner Konzerte wird zu einem einzigartigen und unwiederholbaren Ereignis. Durch ihren künstlerischen Gehalt ziehen er die Aufmerksamkeit bedeutender Persönlichkeiten der musikalischen Szene auf sich: es handelt sich dabei insbesondere um Luigi Pigarelli und Antonio Pedrotti, die dem Volksgesang der Berge ein Repertoire von Liedern und Harmonisationen widmen, das in die Geschichte eingehen wird.

Es kündigen sich jedoch schwierige Zeiten an: das Aufkommen einer Diktatur und die Tragödie eines Zweiten Weltkriegs machen alles komplizierter, auch das Singen.

Da es ihm nicht gelingt, die den Alpenverein SOSAT in seine Massenorganisationen einzureihen, beschliesst das faschistische Regime im Jahre 1931, diese unter behördliche Aufsicht zu stellen. Ein Großteil seiner Mitglieder tritt aus, die Choristen beschliessen jedoch, den eingeschlagenen und erfolgreichen Weg fortzusetzen. Der Name des Chores bleibt bestehen und 1933 gibt der SOSAT-Chor seine ersten drei Schallplatten heraus und zwei Jahre später wird im Verlag der Gebründer Pedrotti die erste Sammlung von Bergliedern, harmonisiert von Luigi Pigarelli und Antonio Pedrotti, veröffentlicht.

1938 wird aufgrund des Erlasses der Sondergesetze die Bezeichnung SOSAT mit ihrem Adjektiv “Arbeiter”nicht mehr erlaubt. Der Chor setzt seine Tätigkeit unter dem Namen “Coro SAT” fort, auf diese Weise tritt auch die Muttergesellschaft, die Società Alpinisti Tridentini – Trentiner Alpenverein, in die Geschichte des Berggesangs ein. Es ist nicht zu leugnen, dass der Chor einen Weg bereitet hatte, der später auch von anderen beschritten wurde: im Jahre 1936 wird der Chor Val di Sella S.A.T. in Borgo gegründet, der nach dem Zweiten Weltkrieg definitiv den Namen Coro Valsella annimmt.

Die Ereignisse der Faschismuszeit prägten demnach auch die Geschichte des alpenländischen Chorgesangs: der erste Bergsteigerchor mußte seinen Namen von SOSAT in SAT umändern. Im Trentino wird er jedoch weiterhin von vielen mit seinem alten Namen “SOSAT” genannt, zumindest bis zum Jahr 1941, als der Chor aufgrund des Kriegsgeschehens seine Tätigkeit einstellt.

Es besteht also eine Kontinuität zwischen den ersten SOSAT-Chor und dem SAT-Chor: eine Kontinuität, die sich aus einzelnen Geschichten von Männern speist, deren Leidenschaft für den Gesang stärker war als die institutionellen Schwierigkeiten, mit denen die SOSAT zu kämpfen hatte. Der Name SOSAT taucht sofort nach Kriegsende wieder auf, als im Mai 1945 der erste Bürgermeister der befreiten Stadt Trient, Gigini Battisti, Sohn von Cesare Battisti, Nino Peterlongo mit der Neugründung der SOSAT und ihres Chores beauftragt.

Im Dezember 1945 nach endgültiger Beendigung des Krieges, beschließen auch die vier Brüder Pedrotti (Mario, Enrico, Silvio und Aldo) die Wiederaufnahme der Chortätigkeit mit ehemaligen Choristen der SOSAT und neuen Elementen unter dem Namen “SAT-Chor”.

Die Neugründung des SOSAT-Chores und die Wiederaufnahme der Gesangstätigkeit seitens der Gebrüder Pedrotti mit dem SAT-Chor gab dem Chorgesang großen Auftrieb und er erfuhr eine weitaus stärkere Entwicklung als in den vorausgegangenen Jahrzehnten, was zur Gründung einer Institution führte, die als Bezugspunkt für dieses Phänomen, das ungeahnte Ausmasse angenommen hatte, dienen sollte.

Im Jahre 1963 wird daher die Federazione Trentina dei Cori – Vereinigung der Chöre des Trentino – ins Leben gerufen, die eine der bedeutendsten Organisationen unserer Provinz darstellt. Wenige Gegenden in der Welt können mit der Anzahl der Trentiner Chöre konkurrieren: 191 Ensembles von unterschiedlicher Ausdrucksweise und Qualifikation, die insgesamt 5.800 Personen jeglichen Alters einbeziehen. Da dies in einer der am dünnsten besiedelten Regionen Italiens geschieht, kann mit Recht von einer wahren kollektiven Berufung gesprochen werden. Eine Geschichte also, die weit zurückreichende Wurzeln hat und dazu bestimmt ist, auch nach uns fortzudauern.

Jener erste Chor, der 1926 gegründet wurde ist nunmehr ein Kulturgut aller geworden, wie die Berge, in denen er das Licht der Welt erblickte.